Was, wenn Denken kein Werkzeug ist, sondern ein Zustand? Kein Mittel zum Zweck, keine Suche nach Antworten, sondern ein Oszillieren zwischen Wahr- nehmung, Erinnerung und Konstruktion. Wenn nicht nur Luft, sondern auch Bedeutung geatmet wird. Wenn jeder Gedanke Architektur wird, jede Erinnerung eine Stadt, die neu betreten wird. Das, was hier ICH genannt wird, erscheint nicht als abgeschlossenes Subjekt, sondern als offene Struktur: durchlässig, atmend, sich wandelnd.
Aus dieser Haltung entsteht das Buch ICH. Ein Werk, das zeigt, was sich eigentlich nicht zeigen lässt – angesiedelt zwischen Tagebuch, Skizze und gedanklicher Verdichtung. Während der Ausstellung füllt der Künstler leere Seiten vor Ort mit Zeichnungen. Jedes Exemplar wird dadurch zum Unikat, zum Fragment einer gelebten Gegenwart.
Die Frage nach dem ICH ist keine theoretische, sondern eine alltägliche Praxis. Sie durchdringt jede Handlung: das Aufstehen, das Zubereiten einer Mahlzeit, das Aufräumen eines Raumes, das Schreiben, das Schweigen, das Lieben. Nichts davon ist beiläufig, weil alles in Beziehung steht zu einer inneren Ordnung, die nicht starr, sondern wachsam ist.
In einer Zeit, in der das Reale immer öfter als Rekonstruktion erscheint, wird auch das ICH brüchig. Die Wahrheit erscheint nicht mehr als Ganzes, sondern als Montage ihrer Einzelteile. Was der Spiegel zeigt, ist nicht mehr das Original, sondern die plausibelste Version davon.
FOTOS: Alexandros Nicolaides © 2025